Die Kunst von Milak Radenko – Das Bild als Vorlage für die malerische Erzählung
Welche Rolle spielt die zeitgenössische Bildproduktion bei der Herausbildung unseres historischen und kulturellen Gedächtnisses? Diese Frage steht im Zentrum des Werks von Radenko Milak, der 2017 internationale Bekanntheit durch seinen Beitrag „University of Disaster“ für den Pavillon von Bosnien und Herzegowina der Biennale Venedig erlangte.
In seinen Bildern verbindet der 1980 in Bosnien-Herzegowina geborene Künstler das fotografische Abbild mit der malerischen Erzählung. Sie basieren auf Vorlagen aus Filmen, Reportagen oder Pressebildern, die er mit Aquarellfarbe in das Medium der Malerei überführt. In dem 15-teiligen Tableau mit dem Titel „Movie Panel“ bringt der Künstler ikonische Bilder des Films von King Kong über Casablanca bis hin zu Pulp Fiction zusammen. Von weitem betrachtet wirken die Bilder wie Fotografien, erst aus der Nähe offenbart sich der durchscheinende Farbauftrag. Milak rührt die Aquarellfarbe mittels Wasser zunächst flüssig an und trägt sie dann zügig auf das angefeuchtete Papier auf. Dabei entstehen unscharfe und teils zufällig verlaufende Farbflächen und deutlich sichtbare Wasserränder als Zeichen einer malerischen Signatur.
Durch den medialen Transfer spielt der Künstler mit den unterschiedlichen Arten der Bedeutungskonstitution von Bildern und führt verschiedene Erzählstrategien zusammen: Das umspannende Narrativ des Films, die Fotografie als „Abdruck” der Wirklichkeit und die Malerei als individuelle Produktion von Zeichen.
Ein weiteres Werk von Milak Radenko ist im Treppenhaus des Neuen CAPITOLS zu sehen: „Hubble view of the Lagoon Nebula“ ist der Titel des Aquarells mit den Maßen 252 x 185 cm. Enstehung: 2020.
Thomas Kellner – Kapellenschulen in Siegerland-Wittgenstein
Bereits im 16. Jahrhundert wurde in Deutschland die Schulpflicht eingeführt, aber damals gab es nicht überall Gebäude, die spezifisch für schulischen Unterricht gebaut waren. Deshalb fand in den Grafschaften Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen der Unterricht in sogenannten Kapellenschulen statt. Diese Bauwerke fallen dadurch auf, dass sie meist freistehend, mit Fachwerk gebaut sind und oben aus ihrem Dach ein Glockenturm herausragt. Sie dienten gleich mehreren Zwecken, darunter die religiöse Andacht, schulischer Unterricht und auch landwirtschaftliche Zwecken.
Mit seiner Kunstfotografie setzt Thomas Kellner diese für die Region Siegerland-Wittgenstein typischen Gebäude neu in Szene. Während seines Studiums der Kunst, Politik und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Siegen entdeckte Kellner die Fotografie mit der Lochkamera für sich. 1996 wurde ihm der Kodak Nachwuchs-Förderpreis verliehen und in den folgenden Jahren entwickelte sich seine Neigung zur Architektur und dem Kubismus (Stilrichtung in der Kunstgeschichte). Heute konzentriert er sich auf künstlerische Fotografie, zeichnet sich durch seine Arbeit mit Kontaktbögen aus und eröffnet mit seiner Kunst neue Perspektiven.
So wie die Kapellenschulen früher verschiedene Lebensbereiche vereinten, vereint Kellner heute in seiner Kunst verschiedene Perspektiven auf die Geschichte und Entstehung der Bauwerke. Dadurch, dass Kellner zunächst viele Fotografien von einer Kapellenschule macht, die Filmstreifen nach der Entwicklung neu anordnet und auf Kontaktbögen zusammenstellt, entsteht eine neue Dynamik der sonst statischen Architektur. Seine Bilder zeigen etwas, das der Betrachtende wiedererkennt, während er gleichzeitig das Gefühl hat, es zum ersten Mal zu sehen. Dies führt dazu, dass der Betrachtende länger mit seinem Blick verharren muss und das Bild nicht sofort einordnen kann. Dieses Wesensmerkmal seiner Kunst wird verdeutlicht durch den typischen Glockenturm einer Kapellenschule, der durch Kellners Bilder die Festigkeit verliert, abstrakt wird und sich scheinbar optisch vervielfacht.
Zu sehen sind im Neuen CAPITOL Bilder der ehemaligen Kapellenschulen in den Ortschaften Altertshausen, Birkefehl, Dotzlar, Hemschlar, Hesselbach, Laaspherhütte, Richstein, Sassenhausen, Schwarzenau, Wingeshausen, Wunderthausen, Zinse.